Was einen guten Experten ausmacht

Was einen guten Experten ausmacht

Gemäss Obligationenrecht gilt die Bewertung einer Immobilie als «einfacher Auftrag». Der Experte ist somit verpflichtet, den Auftrag «vertragsgemäss, persönlich, getreu und sorgfältig» auszuführen. Je erfahrener der Experte und je besser seine Ausbildung, desto höher sind die Anforderungen an ihn. Ein unerfahrener Experte muss einen Auftrag unter Umständen ablehnen, weil ihm das notwendige Fachwissen fehlt.

Das Wichtigste vorweg: Die Bewertung einer Immobilie ist naturgemäss eine Ermessensfrage. Das Resultat kann somit nicht nach objektiven Kriterien als «richtig» oder «falsch» bewertet werden. Weil es den objektiv richtigen Marktwert nicht gibt, muss dem Experten folglich ein Ermessensspielraum zugebilligt werden. Schätzungsabweichungen von plus/minus zehn Prozent sind tolerierbar, ohne dass deshalb von einer unkorrekten Bewertung gesprochen werden kann.

Trotzdem gibt es Fälle, in denen der Bewertungsexperte für einen «falschen» Wert haftbar gemacht werden kann. Er tut also gut daran, die Anforderungen, die ein Auftraggeber an ihn hat, zu erfüllen und tadellose Leistungen zu erbringen.

Vertragsgemäss, persönlich und getreu

Es gibt nach OR zwei Arten von Aufträgen: den «einfachen Auftrag» und den «Werkvertrag». Im Werkvertrag wird ein Ergebnis «geschuldet». Erhält ein Architekt beispielsweise den Auftrag, ein Einfamilienhaus zu bauen, baut stattdessen jedoch ein Zweifamilienhaus, wird er dafür haftbar gemacht. Im Gegenzug gilt die Bewertung einer Immobilie als «einfacher Auftrag». Der Experte kann für den von ihm ermittelten Wert grundsätzlich nicht behaftet werden. Ist der vom Experten geschätzte Marktwert nicht erzielbar, kann er den Experten dafür nicht verantwortlich machen. Natürlich bedeutet das nicht, dass der Experte irgendwelche Werte nach eigenem Gutdünken ermitteln darf. Abgesehen davon, dass er seine Arbeit persönlich vornehmen muss, ist er auch zur Sorgfaltspflicht und zur getreuen Auftragserfüllung verpflichtet. Zudem muss er seine Arbeit gemäss Auftrag ausführen. Verletzt der Experte die Sorgfaltspflicht, lässt er Aufträge ohne Einstimmung des Auftraggebers durch Dritte ausführen oder führt er die Arbeit nicht gemäss Auftrag aus, kann er dafür haftbar gemacht werden.

Sorgfaltspflicht

Das Gesetz gibt keine nähere Auskunft darüber, was die Sorgfaltspflicht genau beinhaltet. Oft ist ein Bewertungsexperte Mitglied eines Schätzerverbands, der seinen Mitgliedern Verhaltensregeln, einen Berufskodex und Pflichten vorschreibt. So verlangt zum Beispiel die Bewertungsexperten-Kammer SVIT von ihren Mitgliedern, dass sie einen Auftrag nur dann annehmen dürfen, wenn sie über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Zudem wird der Experte zur Geheimhaltung und zur Offenlegung von Interessenkonflikten verpflichtet. Die Mitglieder müssen überdies eine Berufshaftpflichtversicherung abschliessen.

Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht steigen mit der Erfahrung, Ausbildung und Qualifikation des Experten. Je besser die Ausbildung und je grösser die Erfahrung, desto eher darf man davon ausgehen, dass ein Experte beispielsweise ein Asbestrisiko erkennt und das Beiziehen eines externen Spezialisten empfiehlt. Grundsätzlich gehört es zu den Pflichten eines integren Experten,

  • den Grundbuchauszug zu analysieren und auf wertrelevante Einträge wie beispielsweise Wohnrechte oder Baubeschränkungen hin zu prüfen,

  • den Kataster der belasteten Standorte auf Einträge zu kontrollieren,

  • die Bau- und Zonenordnung und allfällige öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen zu prüfen und

  • die Gefahrenkarten auf mögliche Einschränkungen wie zum Beispiel Gewässerschutzbereich zu konsultieren.

Je nach Auftrag oder Objekt können weitere Abklärungen wie Erdbeben- oder Radongefahren, Fluglärm oder Störfallverordnung entlang Hauptverkehrsachsen notwendig sein.

Was, wenn ein erfahrener Experte eine solche Abklärung nun vergisst und sich nachträglich daraus ein Minderwert ergibt? In diesem Fall kann der Experte unter Umständen haftbar gemacht werden, sofern das Gericht der Meinung ist, dass der Experte die Einschränkung aufgrund seiner Erfahrung hätte erkennen müssen. Mit einem unerfahrenen Experten geht das Gericht milder um, weil die Anforderungen an ihn tiefer sind. Hat ein unerfahrener Experte einen solchen Auftrag jedoch angenommen, könnte das Gericht im Gegenzug zum Schluss kommen, dass er den Auftrag hätte ablehnen müssen, weil er nicht die notwendigen Qualifikationen dafür mitbringt.

Vertragsverhältnis Auftraggeber–Auftragnehmer

Es empfiehlt sich in jedem Fall, dass Auftraggeber und Auftragnehmer den Auftrag schriftlich vereinbaren. Im Bewertungsbericht müssen der Auftraggeber, der Eigentümer und die zur Verfügung gestellten Unterlagen aufgeführt sein. Üblicherweise wird die Gültigkeit des Gutachtens auf eine gewisse Zeit beschränkt, weil sich der Immobilienmarkt aber auch die massgebenden Einflussfaktoren am Objekt schnell ändern und damit den Marktwert beeinflussen können (z.B. durch eine Pandemie wie Covid-19). Weiter empfiehlt es sich festzuhalten, dass das Gutachten nur für einen bestimmten Zweck verwendet und nicht ohne Einstimmung des Experten an Dritte weitergegeben und von diesen wiederum weiterverwendet werden darf. In einem Gerichtsfall kam es einem Bewertungsexperten zugute, dass der Auftraggeber das Gutachten ohne seine Einwilligung an den Käufer der Liegenschaft weitergab. Nach dem Kauf stellte der neue Eigentümer Mängel am Gebäude fest, die der Experte nicht erkannt hatte. Das Gericht entschied, dass dem neuen Eigentümer kein Recht auf eine Forderung zusteht, weil er das Gutachten «unrechtmässig» erhalten hatte. Offen ist in diesem Fall, ob der Experte (oder allenfalls auch der Käufer) den Mangel hätte erkennen müssen, oder ob der Verkäufer vom Mangel wusste und ihn allenfalls verschwiegen hat. Der Käufer kann Forderungen demnach ausschliesslich an den Verkäufer stellen, das Gutachten dabei jedoch nicht als Beweis einbringen.

Qualität des Bewertungsexperten

Der Titel «Bewertungsexperte» ist nicht geschützt. Wie kann der Auftraggeber dann aber erkennen, ob der Experte die gesuchte Erfahrung und Fachkompetenz hat? Im besten Fall kennt man den Experten, oder er wird einem empfohlen. Trotzdem ist nicht jeder Experte für jeden Auftrag qualifiziert. Hier sind allenfalls ein persönliches Gespräch, das Einfordern einer Referenzliste und das Studium des Lebenslaufs ratsam. Einem Experten, der einen anerkannten Fachausweis besitzt und Mitglied eines Schätzerverbands ist, ist der Vorzug zu geben. Allerdings gibt es Schätzerverbände wie beispielsweise den Schweizer Immobilienschätzer-Verband (SIV), bei denen keine Aufnahmeprüfung abgelegt werden muss und die lediglich eine Tätigkeit in der Immobilienbranche verlangen. Dahingegen wurden alle Mitglieder der Bewertungsexperten-Kammer (SVIT) und der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) nur nach einer persönlichen Prüfung aufgenommen. Als höchstes Qualitätssiegel gilt die ISO-Zertifizierung nach ISO-17024 als «Certified Expert». Dieses Zertifikat verlangt alle fünf Jahre eine Re-zertifizierung des Experten. Ist dieser nicht mehr aktiv, darf er den Titel nicht mehr verwenden.

B&O IMMO GmbH, Pfäffikon SZ, Mai 2020

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