Wann ist ein Gutachten eigentlich gut?

Wann ist ein Gutachten eigentlich gut?

Die Anforderungen an ein Bewertungsgutachten sind hoch. Und das, obwohl es keine gesetzlichen Vorschriften gibt. Primär muss ein Gutachten «als Ganzes» überzeugen. Form, Inhalt und Sprache müssen verständlich und in sich stimmig sein. Ein Gutachten, das zwar zum «richtigen» Ergebnis kommt, jedoch formale oder inhaltliche Mängel aufweist, genügt den Anforderungen nicht.

Als ich vor über 25 Jahren mit der Bewertung von Immobilien anfing, war es üblich, den Bewertungsbericht in Briefform abzufassen. In der Regel wurde die Liegenschaft auf einer A4-Seite beschrieben. Zuunterst wurde als Schlussfolgerung der Verkehrswert, eingemittet und in fetter Schrift, aufgeführt. Der ermittelte Verkehrswert lag zwar Berechnungen zugrunde, aber diese wurden nicht sichtbar gemacht. Im Vergleich zu heute hatte der Bewertungsexperte damals einen ganz anderen Stellenwert. Seine Expertise wurde selten hinterfragt oder angefochten.

Regionaler Markt als Spezialgebiet

In den 25 Jahren dazwischen hat sich das Bewertungswesen grundlegend verändert. Nicht nur die Bewertungsmethoden sind vielfältiger geworden, auch die Rolle des Bewertungsexperten hat sich grundlegend verändert. Heute werden Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen oft mithilfe einer hedonischen Bewertungssoftware, wie sie beispielsweise bei Wüest Partner, Fahrländer Partner, IAZI oder bei der ZKB zur Anwendung kommen, bewertet. Einen Experten braucht es dazu nicht mehr. Dieser ist mittlerweile vielmehr ein Spezialist und beurteilt als solcher vor allem Liegenschaften, die mit hedonischen Modellen nicht bewertet werden können. Auf dem Markt finden sich entsprechend grosse Unternehmen, die sich hauptsächlich auf die Bewertung von Immobilienportfolios spezialisiert haben. Daneben gibt es die «kleinen» Experten, die als Alleinunternehmer oder Kleinfirmen auftreten. Ihr Steckenpferd ist der regionale Markt. Oft sind sie bei Banken akkreditiert und bewerten Spezialliegenschaften in ihrer Region.

Rechtliche Grundlagen

In der Schweiz gibt es keine gesetzlichen Grundlagen oder Anforderungen an einen Bewertungsbericht. Ganz anders zum Beispiel in Deutschland. Dort gibt die sogenannte Immobilienermittlungsverordnung klare Vorgaben. In der Schweiz gilt ein Bewertungsauftrag gemäss Obligationenrecht als «einfacher Auftrag». Dies verlangt vom Experten eine Sorgfaltspflicht, die auch für das Gutachten gilt.

Anforderungen an ein Gutachten

In mehreren Gerichtsentscheiden wurde unter anderem festgehalten, dass ein Gutachten «als Ganzes, also durch den Inhalt, die äussere Form und die Sprache überzeugen und verständlich sein muss». Zudem wird eine objektive Berichterstattung verlangt. Mutmassungen haben in einen Bewertungsbericht nichts verloren. Enthält ein Gutachten also nicht nachvollziehbare Annahmen, Berechnungen oder gar Fehler, hält es den Anforderungen nicht stand, auch dann nicht, wenn der geschätzte Marktwert den «wahren» Wert widerspiegelt.

Umfang und Inhalt eines Gutachtens

Jeder Bewertungsexperte hat sein eigenes Gutachten. Anhand des Gutachtens lassen sich oft Rückschlüsse auf den Ausbildungshintergrund des Experten ziehen. Ist ein Baubeschrieb sehr umfangreich und detailliert, handelt es sich beim Experten mit grosser Wahrscheinlichkeit um einen Architekten oder Bauingenieur. Früher war die Bewertung von Immobilien (fast) ausschliesslich Männersache und wurde durch Architekten oder Bauingenieure vorgenommen. Heute finden sich unter den Expertinnen und Experten vermehrt auch solche mit ökonomischem oder wissenschaftlichem Hintergrund, weil der Substanzwert bei Renditeliegenschaften in der modernen Schätzerlehre eine untergeordnete Rolle spielt.

Literatur

Die Schätzerliteratur in der Schweiz ist umfassend. Jeder Schätzerverband hat seine eigene Literatur. Darin werden nicht nur die Bewertungsmethoden erklärt, sondern auch Umfang und Inhalt eines Gutachtens vorgeschlagen. Die umfassendste Literatur zum Thema «Anforderungen an Bewertungsgutachten» wurde vom Schweizer Immobilienschätzer-Verband (SIV) herausgegeben. Ein «gutes» Gutachten enthält dabei folgende Informationen oder Angaben:

  • ·Titelblatt mit Foto, den wichtigsten Angaben zur Liegenschaft, Marktwert, Auftraggeber, Eigentümer

  • Inhaltsverzeichnis

  • Zusammenfassung mit den wichtigsten Erkenntnissen, Kennzahlen, Renditen, Schlussfolgerung und die Verifikation der Ergebnisse, Gültigkeit und Verwendung des Gutachtens, Bewertungsunsicherheiten

  • Bewertungsbasis mit Auftrag, Zweck, Auftraggeber, Eigentümer, Besichtigungsdatum, Experte, Bewertungsstichtag, Besichtigungsdatum, erhaltene Unterlagen

  • Beschrieb Makro- und Mikrolage

  • Beschrieb Grundstück, Grundbuchdaten, Bau- und Zonenordnung, Kataster der belasteten Standorte, Gefahrenzonen, Erdbeben- und Radongefahren oder Störfallverordnung mit Karten

  • Beschrieb Gebäude mit Gebäudeversicherungsangaben, Baubeschrieb mit Zustand und notwendigen Investitionen

  • Methodenbeschriebe, Definitionen, Literatur (evt. im Anhang)

  • Berechnungen der Bewertungsmethoden

  • Fotoblatt

  • Beilagen wie Grundbuchauszug, Gebäudeversicherungsausweise, Mieterspiegel, Grundrisspläne und Abrechnungen

Verifikation des Schätzungsergebnisses

Von grosser Wichtigkeit ist, dass der Gutachter begründet, weshalb sein geschätzter Marktwert seiner Meinung nach die aktuellen Marktverhältnisse widerspiegelt. Bei einem Einfamilienhaus oder einer Eigentumswohnung erfolgt dies beispielsweise durch einen Vergleich mit aktuellen Angeboten oder statistischen Immobilienmarktdaten. Bei Renditeliegenschaften geschieht die Verifikation über die Vergleichsrenditen wie beispielsweise von Real Estate Investment Data Association (REIDA).

Unsicherheiten

Fast jede Bewertung beinhaltet «Unsicherheiten», weil zum Beispiel kein oder kein aktueller Grundbuchauszug vorgelegen hat. In diesem Fall macht der Experte einen Vorbehalt und weist darauf hin, dass ihm gewisse Informationen gefehlt haben. Es gibt Experten, deren Gutachten in Bezug auf die Vorbehalte amerikanische Ausmasse annehmen. Auf zahlreichen Seiten werden die fehlenden Unterlagen aufgeführt. Meist sind dies standardisierte Aufzählungen, die mit der betreffenden Liegenschaft in keinem Zusammenhang stehen. Gemäss Swiss Valuation Standard (SVS) reicht ein genereller Hinweis darauf, dass eine Bewertung mit Unsicherheiten verbunden ist, nicht.

Unsicherheiten dürfen nicht mit dem Marktrisiko verwechselt werden. Sie können sich entweder auf den Status des Experten – also dessen Fähigkeit, Ausbildung, Erfahrung oder das allfällige Vorhandensein eines Interessenkonflikts – oder auf inhärente Unsicherheiten beziehen, womit die Einzigartigkeit der Liegenschaft und damit eine fehlende Vergleichbarkeit gemeint sind. Meist ergeben sich jedoch Unsicherheiten aus einem beschränkten Zugang zu Informationen heraus.

B&O IMMO GmbH, Pfäffikon SZ, Februar 2021

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